Autorenbrief Juni 2022: Die Wirkung von guten Geschichten

Liebe Autorinnen und Autoren,

wie man mit Geschichten die Einstellung von Menschen verändern kann, wollte das amerikanische Militär wissen und unterstützte die Untersuchungen des Forschers Kendall Haven. Er fand durch detaillierte Messungen mithilfe eines Elektroenzephalogramms heraus, dass Geschichten biochemische und neuronale Vorgänge von Probanden verändern können, wenn der Held der Story sich besonders sympathisch, der Gegner im Laufe der Erzählung besonders böse zeigt: Je strahlender der Held dargestellt wird, je schwieriger die Aufgaben und je unsympathischer der Antagonist ist, um so zufriedener ist der Leser oder Zuschauer beim Happy End. Intern nannte man diese Erkenntnis Radikalisierungspotential - ein aktuelles Thema in Zeiten von Fakenews und Cyberattacken. Interview mit Samira El Ouassil (Erzählende Affen) in F.A.Z.-Magazin im Tieger-Blog.

Übertrifft die Wirklichkeit die Fantasie? Wem wäre das beim Plotten eingefallen: Bei der Drogenkontrolle in einem marokkanischen Hafen wurden 31 Tonnen Cannabis gefunden, versteckt in „Obst und Gemüse-Nachbildungen“, dope-Geschäfte mit künstlichen Früchten. 1 : 0 für die Wirklichkeit. Mehr übers Kriminalromane schreiben auf Renas Wortwelt und im Literatur-Café.

Unglaublich: 71jährige Liebesroman-Autorin (Der falsche Ehemann, Hölle im Herzen) schreibt einen Essay „Wie man seinen Ehemann tötet“, in dem sie Motive und Ausführungsmöglichkeiten auflistete. Sie selbst wählt eine Schusswaffe für die Tat und kassiert die Versicherungssumme. Als man ihr durch Überwachungskameras nachweist, dass sie zur Zeit des Mordes an ihrem Mann in der Nähe des Tatorts war, erklärt sie, sie sei dort „auf der Suche nach Inspiration“ gewesen. Aber auch an das Risiko einer Mordanklage hat sie in ihrem Text gedacht: „Blöd ist allerdings, dass die Polizei nicht dumm ist. Sie werden dich als Erstes unter die Lupe nehmen. Also musst du gut organisiert, ruchlos und sehr schlau sein.“ Das war sie jedenfalls nicht, denn jetzt hat sie 25 Jahre Zeit, Geschichten zu schreiben – hinter Gittern.

Eine neue Reihe für und mit Schriftstellern hat die Neue Zürcher Zeitung begonnen. Der erste Beitrag ist von Djaimilia Pereira de Almeida (Im Auge der Pflanzen) über ihr Leben als schwarze Schriftstellerin in Portugal. Vorgestellt werden Autoren, die „über ein Phänomen schreiben, das sie bewegt und geprägt hat oder das sich ihrem Werk auf besondere Weise eingeschrieben hat.“ (Tieger-Blog)

„Stille und Wärme“ sind für Svenja Leiber (Kazimira) das Wichtigste, wenn sie in einer aktiven Schreibphase ist. In dieser Zeit, sagt sie, neigt sie dazu, eher unsozial zu leben und Äußerlichkeiten zu vernachlässigen. Ihr Arbeitsraum wird dann zu einer „Art Klause, einer erweiterten Stirnhöhle“.

Inspiration und gute Schreibphasen in nicht zu heißer Umgebung wünscht Ihnen Ihre Gerhild Tieger