Margaret Atwood - Moralische Entscheidung beim Suchen nach dem richtigen Wort

"Wir haben Worte, um Dinge zu beschreiben, aber welche Worte wählen wir? Sagen wir: Das ist eine Blume? Das Unkraut wollen wir nicht in unserem Garten, die Blume schon. Man trifft dann eine moralische Entscheidung: Diese Pflanze ist gut, jene schlecht. Unsere Sprache ist durchdrungen von moralischen Vorstellungen von Gut und Böse."

Was bedeutete das für Sie als Autorin?

"Sprache ist sehr mächtig. Es ist vielleicht die erste menschliche Technik, Grammatik und Wortschatz zu entwickeln. Es ist ja nicht so, dass andere Lebewesen keine Kommunikationsmittel hätten. Aber die Fähigkeit, Dinge zu beschreiben, die noch gar nicht passiert sind, und in die Vergangenheit zurückzublicken, das scheint eine rein menschliche Eigenschaft zu sein. Dein Hund würde niemals sagen: Es war einmal zu Anbeginn der Welt ... Er sagt vielleicht: "Ich liebe dich. Oder: Es ist Zeit fürs Abendessen.

aus: "Gläubige und Opportunisten sind das ideale Team im Totalitarismus", Interview von Martina Läubli mit der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood - Neue Zürcher Zeitung 3.11.2019