Michael Maar über guten und schlechten Stil

Von Michael Maar ist im Oktober "Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis grosser Literatur" mit 655 Seiten, bei Rowohlt erschienen. Hier eine kleine Kostprobe - die Schreibanmerkungen sind im Buch mit treffenden Beispielen aus der Literatur versehen, humorvoll und sehr lesenswert!

"Guter Stil beruht auf Einfällen sowie einem inneren Verbotskanon. Diese Verbotstafeln sind von aussen nicht einzusehen, sie stehen in den Schreibkammern der Autoren verschlossen. Und eben hierin liegt ein weiteres Geheimnis des Stils: Die Leser merken nicht unbedingt, warum sie etwas gern lesen, weil es an etwas Fehlendem liegt. Man spürt das Fehlende so wenig wie man das Nicht-Gezwicktwerden spüren kann. Auf Dauer merkt die Leserin eines Essays, dass es ihr wohltut, wenn sie einmal verschont bleibt von "Paradigma", "Diskurs" und "Narrativ", oder wenn ihr aus einem Roman nicht die schiefen Bilder und Worthülsen entgegenpurzeln.

"Schlechten Stil zu beschreiben, ist relativ leicht. Man kann den Finger auf das legen, was platt ist, wo es holpert, wo es schief ist, wo grau und abgenutzt. Eine falsche Metapher zu erkennen ist leicht; eine gute zu finden schwer."

(...) "Der schöne Stil hat sein jeweils eigenes Craquelé, kleine Abweichungen, Unregelmäßigkeiten, selbst Regelwidriges, dabei Muster ausbildend und Tiefengeflecht."

(...) "Eine der wichtigsten Kategorien des Stils ist der Einfall. Er macht sich vor allem durch sein Fehlen oder durch seine Fülle bemerkbar."

aus: "Eine Frage des Stils" von Michael Maar, Neue Zürcher Zeitung 4.10.2020