Wer lügt, erzählt Geschichten ...
… von sich selbst, liebe Autorinnen und Autoren.
Lassen Sie Ihren Protagonisten lügen und Sie haben gleich zwei Geschichten zu erzählen, die wahre und die erfundene. Deshalb achten Sie, wenn Sie Ihre Hauptfigur entwickeln, nicht nur auf deren Worte, sondern auch auf Mimik und Körpersprache. Die Zeitschrift “Nature” berichtet, dass Forscher der Universität Amsterdam zu diesem Thema etwa 92 Kriterien als Anzeichen für Lügen fanden. Ein Indiz für eine erzählte Lüge ist beispielsweise, dass ausführliche Beschreibungen meist vermieden werden, weil man sich später nicht mehr so genau an Details erinnern kann.
In ihrem gerade erschienen Buch Wir hätten uns alles gesagt. Vom Schweigen und Verschweigen beim Schreiben (S. Fischer) begegnen wir einer sublimen Art der literarischen Wahrheitsverweigerung. Judith Hermanns drei Frankfurter Poetikvorlesungen sind ein Vorbild dafür wie Autoren ihr eigenes Leben verfremdet als literarischen Stoff nutzen können – ohne sich selbst zu offenbaren. Realität, Fiktion und Geheimnis – wo beginnt eine Geschichte?
Wie schwer es beim Schreiben fallen kann, einen Anfang zu finden, beschreibt Albert Camus in seinem berühmten Roman Die Pest. Joseph Grand, ein kleiner Stadt-Angestellter, der ein großes Werk schreiben möchte, scheitert bereits am Anfang: “Sehen Sie nicht hin”, sagt er zu seinem Besucher, als dieser die herumliegenden Blätter voller Streichungen betrachtet. “Das ist mein erster Satz. Er macht mir Mühe, viel Mühe.” Der berühmte Lektor und Bestsellerautor Sol Stein (Über das Schreiben) stellt lakonisch fest, ein großartiger Anfang auf Seite zwei nützt gar nichts, wenn die Leser das Buch nach der ersten Seite zuklappten.
Bestsellerautorin Sylvia Englert ist in ihrem Urteil großzügiger: “Die ersten fünf Seiten sind die wichtigsten, weil Leser und Lektoren hier ihren ersten Eindruck von Ihrem Text bekommen. Sie fragt in ihrem Ratgeber So lektorieren Sie Ihre Texte: ”Zieht einen der Anfang sofort in die Handlung hinein oder fesselt er durch eine ungewöhnliche Perspektiveoder die Eleganz des Stils?"
“Immer öfter wird Kunst, die weh tun kann, mit einem Warnhinweis versehen”, stellt Nadine A. Brügger in ihrem Interview mit der israelischen Psychologin und Schriftsteller für die NZZ fest. Wo der Wolf lauert ist der Titel ihres aktuellen Romans, der auf Wunsch ihres amerikanischen Verlegers von einem “sensitivity reader” geprüft wurde. Es wurden Passagen gefunden, die möglicherweise “rassistisch” empfunden werden könnten, aber die Autorin weigerte sich, sie zu ändern: “Als Autorin muss ich die Menschen so beschreiben, wie sie sind, nicht so wie ich sie gerne hätte”“ Mehr zum Thema hier: Tieger-Blog.Von Julia Schoch ist jetzt nach ihrem autofiktionalen Roman Das Vorkommnis, der zweite Band Das Liebespaar des Jahrhunderts aus der Romantrilogie Biographie einer Frau herausgekommen. „Es ist nicht die Wirklichkeit, die ich erzähle. Auch wenn sich die Geschichte realistisch anfühlt oder liest, ist sie die fiktive Version meiner selbst oder in diesem Roman auch die des Paares.“ Judith Barrington: Meine Erinnerungen, mein Leben. Einladung zum autobiografischen Schreiben, 175 Seiten, 18 Euro, “Breit empfohlen”, Infodienst für Bibliotheken.
In unserem Buchlager sind noch Restexemplare von Ursula LeGuins Kleiner Autoren-Workshop, 208 Seiten, vorhanden. Bekannt geworden ist sie vor allem durch ihre Science-Fiction- und Fantasy-Romane der Erdsee-Welt. Das Library Journal urteilte: "Ursula Le Guins Stil ist warmherzig und ermutigend, ihre Grundsätze, wie Schreiben zur Kunst wird, sind klar definiert. In hohem Maße empfohlen." Wenn Sie die berühmte Schriftstellerin kennenlernen möchten, legen wir jeder Direktbestellung ein Exemplar dieses Klassikers ohne Berechnung bei - so lange der Vorrat reicht.
Herzliche Grüße und einen guten Schreibstart in den Mai
wünscht Ihre Gerhild Tieger